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So beugen Sie Kriminalität gegen Kinder vor

von Rechtsanwalt Volker Klawon, November 2012

A. Einführung

Kinder sind Erwachsenen gegenüber und auch älteren Kindern gegenüber strukturell unterlegen. Das prädestiniert sie geradezu für die Rolle eines Opfers. Kinder sind zum Einen schwächer als Erwachsene und zum Anderen verfügen sie nicht über deren Lebenserfahrung. In dieser Hinsicht bewahrheitet sich das Sprichwort „Wissen ist Macht“. Zum Dritten ist das Selbstbewusstsein im Kindesalter idR. noch nicht so stark ausgeprägt wie im Erwachsenenalter.

Aber was können Sie tun, um Ihre Kinder wehrhaft zu machen und die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass Ihr Kind zum Opfer eines Übergriffs wird? Sie können an einigen Stellschrauben drehen und so die strukturelle Unterlegenheit Ihres Kindes verringern: Ihr Kind muss möglichst selbstbewusst „Nein“ sagen und verbal zu seinen Gunsten parieren können. Und es muss sich im Notfall so verhalten, dass Menschen in der Umgebung sofort erkennen, dass gerade ein Übergriff durch einen Fremden stattfindet. Das richtige Verhalten ist erlernbar, wie Englisch und Mathe. Dazu muss Ihr Kind mit dem entsprechenden Wissen versorgt werden. Sie als Eltern können Ihrem Kind das nötige Wissen vermitteln und im Rahmen Ihrer Erziehung darauf hinwirken, dass Ihr Kind ein gesundes Selbstbewusstsein erlangt.

Kontraproduktiv ist es, wenn Ihr Kind Angst vor Ihnen hat, etwa weil es im Allgemeinen empfindliche Bestrafung fürchten muss für Fehler, die es macht. Dann können Sie Ihrem Kind zwar immer noch das notwendige Wissen vermitteln, aber ein gesundes Selbstbewusstsein wird Ihr Kind dann nicht entwickeln können. Ihr Kind würde Ihnen dann auch nicht mehr alles erzählen, was ihm widerfährt. Ein intaktes Vertrauensverhältnis ist jedoch wichtig, um frühzeitig wichtige Warnsignale zu erhalten und um dem Kind im Falle einer Bedrängnis alle sinnvollen Handlungsoptionen offen zu halten. Beispiel: Ihr Kind weigert sich, ins Auto des Täters einzusteigen, ist aber durch das Verhalten des Täters (T) verunsichert, denn der Täter droht dem Kind: „Ich sage Dir zum letzten Mal: Dein Vater schickt mich, um Dich abzuholen. Wenn Du Dich weigerst einzusteigen, erzähle ich das Deinem Vater und dann gibt es Ärger.“ Das Kind hat Angst und steigt ein, weil es Ihnen gegenüber nichts falsch machen möchte.

B. So machen Sie Ihr Kind wehrhaft

Beispiel: T parkt sein Auto vor der Grundschule, beobachtet Kinder. T tut so, als sei er selber ein Papa, der auf sein Kind wartet. Daher fällt er nicht auf. Ein Kind löst sich von den anderen Kindern und biegt in eine Seitenstraße ein. Das ist die Gelegenheit, um das Kind anzusprechen und irgendwie in das Auto zu locken. Ist es erst mal drin, kann T schnell verduften und eine einsame Stelle aufsuchen, um nach Belieben mit dem Kind zu verfahren. Das Kind ist dann auf sich gestellt und muss durch sein Verhalten versuchen, den Täter zum Aufgeben zu bewegen.

Ein Täter bricht die Tat regelmäßig dann ab, wenn ihm die Durchführung zu riskant erscheint. Was aber geschehen muss, um beim Täter diese Einschätzung hervorzurufen, ist abhängig von dem Charakter des Täters. Nervenstärke, Willenskraft und die Stärke des persönlichen Triebs sind entscheidende Faktoren. Wird Ihr Kind in geeigneter Weise auf solche Situationen vorbereitet, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es den Täter zum Abbrechen und zur Flucht bewegen kann. Täter erwarten nämlich ein Kind, dass sich in durchschnittlicher Weise verhält. Ein Kind also, dessen Verhalten sich in dem Rahmen bewegt, den der Täter sich vorstellt: im Idealfall ein ängstliches Kind, das alles tut was er verlangt. Aber schon ein selbstbewusstes „Nein“, lautes Schreien wie am Spieß , Treten, Um-Sich-Schlagen usw. irritiert den Täter und lässt ihn überlegen, ob er die Tat nicht besser aufgibt. Das Risiko, dass seine Tat vorzeitig entdeckt und er als Täter bloßgestellt wird, steigt deutlich an, wenn Ihr Kind nicht folgsam ist. Nach einer Verhaftung kann der Täter nicht mehr seinen sexuellen Vorlieben frönen, und diese ungünstige Folge erlaubt ihm sein eigener Trieb nicht. Daher ist entweder die Tat aufzugeben oder das Opfer im Anschluss an die Tat zu beseitigen, um eine Verhaftung zu vermeiden. Selbstverständlich wird der Täter Ihrem Kind verbieten, sich zu wehren oder zu schreien. Davon darf sich Ihr Kind aber nicht beeinflussen lassen. Im Gegenteil: Wenn der Täter Ihrem Kind verbietet zu schreien, rechnet er ja damit, dass sich andere Menschen in Hörweite befinden, die Ihrem Kind zu Hilfe kommen könnten. Ihr Kind muss daher laut schreien und sich zur Wehr setzen.

Wenn der Täter bereits sexuell erregt ist, kann auch eine vorgetäuschte Übelkeit oder ein nicht enden wollender Hustenanfall hilfreich sein, da so etwas abtörnend wirkt. Auch der Griff in einen Hundekothaufen ist hilfreich, und zwar besonders, wenn Ihr Kind den Kot in das Gesicht des Täters befördern kann. Der Täter ist dann zumindest kurzzeitig nicht mehr seinem Trieb ausgesetzt und verfolgt seine Tat nicht mehr mit so viel Motivation wie vorher. Merke: In so einer Situation ist es lebensrettend für Ihr Kind, nicht folgsam zu sein sondern in jeder Hinsicht ekelhaft!

Meistens gilt: Wenn ein Kind sich wehrt, kann es nur gewinnen aber nichts verlieren. Ein Täter, der triebgesteuert ein Kind entführt, ist an einem lebenden Opfer interessiert, solange er seine Tat noch nicht beendet hat. Erst danach ist das Kind in ernster Todesgefahr, weil es als Zeuge der Tat zur Überführung des Täters beitragen kann.

Selbstbewusstsein ist wichtig. Aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung neigen Kinder jedoch zur Selbstüberschätzung. Solange Ihr Kind sich sicher fühlt, also zu Hause, bei Freunden, in Gegenwart der Eltern, denkt es sich: „Klar, ich verhalte mich so, wie ich es jetzt gelernt habe, wenn ich in so eine Situation komme“. Aber das ist leichter gesagt als getan, denn wenn der Ernstfall da ist, gerät Ihr Kind in eine Stresssituation. Was Ihrem Kind vorher so einfach erschien, ist im Ernstfall gar nicht mehr so einfach. Ihr Kind muss in Echtzeit die Situation erfassen und nachdenken, wie es agieren muss (z.B. „Jetzt muss ich schreien. Aber was?“) und während es agiert muss es sich überlegen, was es sinnvollerweise als nächstes tun muss. Das klappt im Ernstfall nur dann, wenn es vorher Ihrem Kind vorgemacht worden ist und mit ihm geübt worden ist.

Was soll Ihr Kind schreien, wenn es in so eine solche Notsituation gerät? „Hilfe“ ist naheliegend, aber nicht immer ausreichend. „Feuer“ geht auch, denn das macht andere Leute neugierig. „Feuer“ geht in unübersichtlichen Gebäudekomplexen, aber nicht an übersichtlichen Orten oder draußen, weil sich im Umfeld des Kindes ganz offensichtlich kein Brandherd befindet. Herbei eilende Passanten könnten dann denken: „ach, da ist nur ein ungezogenes Kind, das seinem Vater auf die Nerven fällt“. Das wäre nicht hilfreich. Spätestens wenn Ihr Kind heran nahende Passanten bemerkt, sollte es ganz laut rufen: “Helfen Sie mir! Das ist nicht mein Papa! Hilfe! Das ist nicht mein Papa! Helfen Sie mir“. Mit dieser Information im Ohr können die Passanten davon ausgehen, dass ein Verbrechen abläuft. Können die Passanten Ihr Kind noch nicht sehen oder bleiben die anwesenden Passanten untätig, so sollte Ihr Kind auch Hinweise zu seinem Aufenthaltsort geben, z.B. „hier im weißen Auto“ oder „ich bin im Schuppen neben der alten Ruine“ oder „ich bin in der Jagdhütte“. Aber auch, wenn Ihr Kind keine Hinweise gibt, können die Passanten Ihr Kind finden, indem sie dem Geschrei folgen. Dazu ist es nötig, dass Ihr Kind nicht nur lautstark, sondern auch über längere Dauer schreit; mehrere Minuten können schon vergehen, bis Hilfe kommt.

Üben Sie die zu schreienden Worte mit Ihrem Kind. Wenn Ihr Kind diese Worte zu Übungszwecken lautstark schreit, ist es recht wahrscheinlich, dass jemand die Polizei verständigt. Sprechen Sie vorher mit dem Kontaktbeamten der Polizei, der für Ihren Bezirk zuständig ist. Den Kontakt stellt Ihre örtliche Polizeidienststelle her, deren Telefonnummer Sie in Ihrem Telefonbuch finden werden. Vielleicht veranstaltet die Polizei demnächst sogar einen Kurs in Ihrer Nähe, dann sollten Sie und Ihr Kind daran teilnehmen.

Wenn Ihr Kind bereits ins Auto gezogen worden ist, sollte es auf jeden Fall versuchen, den Autoschlüssel aus dem Schloss zu ziehen und am besten aus einem bereits offen stehenden Autofenster herauszuwerfen. Bei modernen Autos ist oft der Platz zwischen den Vordersitzen und dem Wagenboden beengt. Ihr Kind kann versuchen, den Schlüssel unter den Vordersitz zu werfen oder - bei einem Kombi oder einem Minivan - nach hinten in den Laderaum. Dann muss der Täter sich erst mal um den Schlüssel kümmern und dazu eventuell sogar aussteigen. Dann sieht er sich möglicherweise Passanten oder anderen Autofahrern gegenüber, die sehen, wie Ihr Kind laut schreit und flieht oder wenigstens zu fliehen versucht. Das stresst den Täter und gibt Ihrem Kind Zeit, um vernünftig zu überlegen. Den Täter stresst es auch, wenn Ihr Kind im Auto wild um sich tritt und schlägt und ihm die Nase, eine Lippe oder ein Ohr abbeißt. Das fällt außerdem auch Außenstehenden auf, wenn die Scheiben des Autos nicht zu stark getönt sind.

Im Auto sollte Ihr Kind versuchen, die Hupe zu betätigen, und zwar über einen langen Zeitraum. Auch SOS-Hupen ist sinnvoll, um die Passanten in Hörweite auf die Situation aufmerksam zu machen. SOS ist das Notrufsignal auf hoher See, das mit Morse-, Schall- oder Lichtzeichen übermittelt werden kann. SOS geht so: kurz-kurz-kurz - lang-lang-lang - kurz-kurz-kurz. Die Hupe kann im Gerangel mit dem Täter auch mit den Füßen, den Knien, den Ellenbogen oder mit dem Hintern betätigt werden, je nach aktueller Lage. Aber was kann Ihr Kind machen, wenn der Täter in vorausschauender Weise die Hupe außer Funktion gesetzt hat?

Öffentlichkeit herstellen kann Ihr Kind auch, wenn es während der Fahrt in schneller Folge am Schalthebel des Getriebes herumreißt und immer wieder die Warnblinkanlage einschaltet. Das gibt laute und ungewöhnliche Geräusche und die Passanten in der Umgebung sehen sofort, welches Auto die Geräusche macht; alle Passanten schauen zu dem Fahrzeug und mit etwas Glück deuten die Passanten die Situation richtig und greifen ein. Das Getriebehebel-Herumreißen funktioniert nur, solange sich das Auto in Bewegung befindet, weil der Täter bei stehendem Fahrzeug sowieso die Kupplung treten würde. Das Hupen oder Getriebehebel-Herumreißen empfiehlt sich ganz besonders innerhalb von Ortschaften oder Städten, und wenn der Täter vor einer Ampel halten muss oder wenn gerade einige Menschen in Sichtweite sind.

Die beengte Situation im Auto des Täters ist überwiegend nachteilig für Ihr Kind. Ihr Kind kann nur beschränkt Vorteile daraus ziehen: Das Auto bietet nämlich auch dem Täter nur beengte Verhältnisse, auch der Täter kann sich nur eingeschränkt bewegen. Und wenn Ihr Kind kleiner ist als der Täter, so hat es im Verhältnis zum Täter eine größere Bewegungsfreiheit. Wenn Ihr Kind wild um sich tritt und schlägt, ist es für den Täter kaum möglich, Ihr Kind ruhig zu stellen. Anders freilich, wenn der im Auto sitzende Täter eine Schusswaffe, ein Bolzenschussgerät oder einen Elektro-Schocker zur Hand hat und dieses Gerät auch einsetzt. Wenn das der Fall ist, sind weitere Abwehrhandlungen hochgradig lebensgefährlich für Ihr Kind. Dann ist Ihr Kind wahrscheinlich besser dran, wenn es auf eine geeignete Gelegenheit zur Gegenwehr wartet. Die bietet sich idR. erst dann, wenn das Auto an belebter Stelle z. B. vor einer Ampel halten muss oder wenn der Täter am Zielort angekommen ist und Ihr Kind sich wieder außerhalb des Autos befindet. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Täter Ihr Kind dann bereits betäubt, gefesselt, geknebelt a.ä. hat, so dass Ihr Kind gar nicht mehr zur Abwehr fähig ist. Zudem hat der Täter in so einem Fall zwischenzeitlich genügend Zeit gehabt, um sich auf die neue Situation, also die Abwehrbereitschaft Ihres Kindes, einzustellen. Aus diesem Grund sollte Ihr Kind alles versuchen, um gar nicht erst in das Auto des Täters zu gelangen. Solange Ihr Kind noch nicht im Auto ist, ist ja auch der Täter von der Widerspenstigkeit seines Opfers noch überrascht; Ihr Kind kann dann den Überrumpelungseffekt und die Verwirrung des Täters zur Herstellung von Öffentlichkeit und/oder zur schnellen Flucht nutzen.

Seit vielen Jahren widmet sich der „Sicher-Stark e.V.“ der Vorbereitung von Kindern im Grundschulalter. Der Verein hat Hörbücher für Kinder und Eltern publiziert und bietet mehrtägige Schulungen an, auch für ganze Schulklassen. Die Kinder lernen im Rollenspiel, richtig mit kritischen Situationen (unerwartete oder ungewollte Kontaktversuche durch Erwachsene) umzugehen. Sie erreichen den Verein im Internet unter www.sicher-stark-team.de.

Übergriffe Erwachsener auf Kinder haben idR. sexuelle Motive. Die bloße Lust am Quälen eines Kindes ist grundsätzlich nicht triebgesteuert und kommt nur am Rande vor. Die Ausführungen in diesem Aufsatz beziehen sich auf Übergriffe der beiden vorgenannten Arten. Kinder werden mitunter aber auch gekidnappt, um von den Eltern Geld zu erpressen oder sie werden überfallen, um ihnen etwas wegzunehmen. Diese kriminellen Handlungen unterscheiden sich in der Weise von den vorgenannten, dass sie allein Ergebnis eines Abwägungsprozesses beim Täter sind und dass das Tatmotiv finanzieller Natur ist. Bei diesen Fällen entscheidet nur die „verbrecherische Vernunft“ des Täters darüber, ob und wann es zur Tat kommt und inwieweit das Kind überleben wird. Erpresser werden beim Kidnapping nicht spontan vorgehen, sondern wohlüberlegt. Erpresser werden regelmäßig das hohe Strafmaß für solche Taten ebenso einkalkuliert haben wie ein eventuelles Abwehrverhalten des Opfers und sie werden das Kind unter Einsatz massiver Mittel zum Schweigen bringen, wenn es versucht sich zu wehren. Kommt Ihr Kind in eine solche Situation, ist sofortiges Weglaufen und lautes Schreien in der Regel eine Option. Wenn es Glück hat, kommt es so in die Sichtweite anderer Menschen und der Täter flieht. Wenn der Täter das Kind vorher in die Hände bekommt und keine Hilfe für das Kind ersichtlich ist, kann sich weiterer Widerstand eher lebensverkürzend auswirken. Für einen Erpresser ist auch ein schwer verletztes oder gar totes Kind bares Geld wert, während so ein Kind für einen Triebtäter keinen Wert mehr hätte. Zudem treten Erpresser, anders als Triebtäter, regelmäßig als Duo oder Trio auf, wodurch Abwehrmaßnahmen seitens des Kindes weniger aussichtsreich erscheinen. Welche Reaktion in der konkreten Situation wirklich die Richtige ist, zeigt sich immer erst hinterher.

C. Drei verschiedene Vorgehensweisen der Täter

a.) Nach Expertenmeinung finden die meisten Übergriffe im Familien- und Bekanntenkreis eines Kindes statt. Die meisten Kinder überleben diese Taten glücklicherweise, was wahrscheinlich mit der stärkeren persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer zu tun haben wird. Die Täter setzen auf Verführung des Kindes; sie nutzen das Vertrauensverhältnis und/oder ihre Autorität gegenüber dem Kind und den Eltern. Da derartige Taten sich oft über viele Male und über einen längeren Zeitraum hinziehen, hinterlassen sie bleibende Eindrücke beim Opfer. Psychische Veränderungen sind die Folge, in deren Verlauf die Opfer von heute überdurchschnittlich häufig zu Tätern von morgen heranwachsen.

Ein Mittel zum Gefügig-Machen des Kindes ist Erpressung. Der Täter verleitet das Kind dazu, etwas zu tun, was dem Kind zu Hause Ärger einbringen könnte. Für den Fall, dass das Kind seinen Forderungen nicht nachkommt, droht er ihm an, alles seinen Eltern zu verraten. Falls das Opfer wider erwarten nicht dicht hält, streitet der Täter alles ab und es steht Aussage gegen Aussage. Das Kind gerät leicht in den Verdacht, dass seine Anschuldigung eine bloße Schutzbehauptung ist. Sie können Ihrem Kind im Vorfeld den Rücken stärken, indem sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ihrem Kind aufbauen. Dann ist Ihr Kind nicht mehr in dieser Weise erpressbar.

b.) Eine andere verbreitete Taktik ist es, sich im Vorfeld einer Tat bei einem völlig fremden Kind einzuschmeicheln und/oder es mittels Erpressung unter Druck zu setzen, um es später auf diese Weise besser aus seinem Umfeld herauslösen zu können. Gelingt es dem Täter nach einer gewissen Zeit, das Kind an einen einsamen Ort zu locken, so kann er fast alles mit ihm anstellen. Ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern bewirkt, dass Kinder eher bereit sind, den Eltern frühzeitig von etwaigen Annäherungen und Drohungen zu berichten. Fehlt dieses Vertrauen, so bekommen die Eltern mit größerer Wahrscheinlichkeit nichts mit und das Kind sieht sich plötzlich einer unwillkommenen Situation gegenüber.

c.) Die dritte wichtige Taktik besteht im spontanen unverzüglichen Kidnapping (eine Art Guerilla-Taktik). Diese Taktik ist im Vorfeld nicht erkennbar, weder für das Kind noch für die Eltern, da es kein Vorfeld gibt. Das Kind ist dann schlagartig auf sich allein gestellt. Ist das Kind wehrhaft, so steigen seine Chancen erheblich. Diese Taktik passiert in erster Linie, wenn sich Ihr Kind bereits an einer einsamen oder wenigstens schwer einzusehenden Örtlichkeit aufhält. Diese Taktik kommt aber auch in der Öffentlichkeit vor, in Gegenwart von Passanten. Szenario 1: Ein nervenstarker Täter greift einfach zu und haut mit dem Kind ab. Beispiel: T sitzt im Auto, schaut aus der Seitenscheibe heraus und fragt das Kind ganz unverfänglich nach dem Weg. Dann greift er zu, zieht das Kind durch die Seitenscheibe auf seinen Schoß und fährt ab. Das Kind wird durch so ein Ereignis überrumpelt, der Täter hat die Lage im Griff, da er sein Verhalten zumindest kurz durchdacht hat. Ist das Auto oder sind die Nummernschilder gestohlen, so ist der Täter trotz möglicher Tatzeugen nur schwer zu ermitteln. Szenario 2: Der Täter sitzt im Wagen und ruft das Kind ans Auto oder der Täter geht auf das Kind zu. Er beabsichtigt, das Kind in ein Auto oder an einen anderen geeigneten umschlossenen Raum zu locken. Das Locken findet im Wege eines geeigneten Gesprächs statt. Dem Kind werden entweder Versprechungen gemacht (Beispiele: „Ich zeige Dir was Tolles“ / „Dein Vater schickt mich“ / „Dein Vater hatte einen Unfall. Er ist im Krankenhaus und bat mich, Dich hier dort hin zu bringen“) oder das Kind wird vom Täter bedroht (Beispiel: „Du steigst jetzt ein. Wenn Du Dich weigerst oder wenn Du schreist, kannst Du was erleben.“) Ein Kind, das unvorbereitet in eine solche Situation kommt, könnte sich dem Diktat des Täters beugen und so auf nimmer Wiedersehen verschwinden. Ein starkes Kind wehrt sich wie oben beschrieben, auch wenn es ihm vom Täter verboten wird.

d.) Je nachdem, wie detailliert man es betrachtet, ergeben sich weitere Tatmuster. Eine umfassende Arbeit zu den Fragen nach den möglichen Tatmustern und deren Vorhersehbarkeit beim konkreten Täter stellt die Dissertation: „Tatmuster beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen“ von Dr. Wiebke Randau, Uni Konstanz 2006 dar. Hinsichtlich der Tätertypen, also der Einordnung von konkreten Tätern in bestimmte Täter-Gruppen, existiert in der Wissenschaft eine große Vielzahl unterschiedlicher Meinungen; bei diesem Thema ist vieles umstritten. Um das Thema richtig zu beleuchten, müssten alle oder wenigstens fast alle Täter umfassend und wahrheitsgemäß Auskunft geben über die gesamten Hintergründe, die zu ihren Taten führten. Das machen die Täter aber nicht, weil sie keine Vorteile darin sehen, sich Wissenschaftlern gegenüber zu öffnen.

D. Das Täter-Modell von Finkelhor

Der U.S.-amerikanische Sozialwissenschaftler David Finkelhor hat sexuelle Übergriffe auf Kinder untersucht und ein 4-Stufen-Modell entwickelt. Demnach kommt es erst zum Übergriff, wenn der Täter vier Hindernisse überwunden hat. Die ersten beiden Stufen betreffen die Person des Täters, die letzten beiden beziehen sich auf die Tatumstände:

1. Der Täter (T1 = Täter auf Stufe 1) muss das Bedürfnis haben, sich an einem Kind zu vergreifen. Es geht um seinen Antrieb zur Handlung. Ursächlich sind typischerweise: T1 bleibt ein seiner Entwicklung stehen / T1 hat in seiner Kindheit eigene Missbrauchserfahrungen gemacht.

2. Der Täter (T2) muss innere Hindernisse überwinden. Ob der Täter die zweite Stufe überwindet, hängt von seinen persönlichen Wertvorstellungen sowie von Überlegungen im Hinblick auf die verbrecherische Vernunft ab. Beispiele: T2 denkt: „Das tut man nicht“ / „Das arme Kind“ / „Was wird die Tat bei dem Kind bewirken?“ / „Wenn das raus kommt verliere ich meinen Job, mein Gehalt, kann mir meinen Sportwagen nicht mehr leisten und die Mitgliedschaft in meinem Golfclub, ganz zu schweigen von meiner politischen Karriere, die dann auch im Eimer ist.“ Ein Mensch mit normalem Werteverständnis überwindet derartige Hindernisse nicht; jeder einzelne dieser Gedanken würde dazu führen, dass er von einer Tatbegehung in jedem Falle absieht. Anders ist das beim Triebtäter: Er sagt sich: „Andere machen das auch“, findet sich mit den negativen Auswirkungen seiner Tat ab und hat daher seine abnormen Bedürfnisse nicht im Griff.

3. Der Täter (T3) muss äußere Hindernisse, also den Widerstand des Umfeldes des Kindes, überwinden. Beispiele für das Vorfeld der Tatbegehung: T3 schmeichelt sich beim Kind ein / Er bietet dem Kind die Geborgenheit, die es bei seinen Eltern nicht findet. Auch beengte Wohn- und Schlafverhältnisse oder die Abwesenheit von vertrauten Personen fördern die Bereitschaft des Täters zur Tatbegehung. Zusätzlich muss der Täter auch noch eine passende Gelegenheit bekommen, um die Straftat ausüben zu können. Auf dieser dritten Stufe können Sie ansetzen, indem Sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ihrem Kind schaffen und ihm die Gefahren verklickern, die abseits belebter Plätze bestehen.

4. Der Täter (T4) muss den Widerstand des Kindes überwinden. Dazu nutzt er dessen Vertrauen und Bedürfnisse aus, isoliert das Kind und zwingt ihm seinen Willen auf. Auf dieser vierten Stufe können Sie ansetzen, indem Sie ihr Kind wehrhaft machen.

Das Modell von Finkelhohr zeigt, das nur Täter T4 alle Hindernisse überwunden hat und deshalb gefährlich für die Kinder geworden ist. Allerdings stellt auch Täter T1 eine drohende Gefahr dar, denn Lebensumstände ändern sich mit der Zeit und auch die Einstellungen der potenziellen Täter zu der Tat können sich verändern. Beispiel: T1 erbt viel Geld. Was die anderen denken, kümmert ihn eh wenig. Seinen Lebensstandart kann er locker halten, auch wenn er den Verdacht der Justiz und seines Umfelds auf sich zieht, und er kann mit größerem finanziellen Einsatz seine Taten besser vorbereiten - denkt er. Damit fällt für ihn das zweite Hindernis weg.

In die Stufe 1 gehört meines Erachtens auch folgender Aspekt, der ursächlich sein kann für das Bedürfnis, ein Kind zu bedrängen anstelle eines Erwachsenen: Es gibt Täter, denen es eigentlich egal ist, ob sie sich eines Kindes oder eines Erwachsenen bemächtigen. Beim Kind ist die Tatausführung jedoch weniger riskant und insgesamt leichter, weil das Kind kleiner und schwächer ist als ein Erwachsener und weil sich das Kind mangels Stärke und Lebenserfahrung nicht so gut zur Wehr setzen kann und leichter einzuschüchtern ist. Auch die Leichenentsorgung gestaltet sich umso einfacher, je kleiner und leichter das Opfer ist. Handelt ein Täter derart rational, dass er sein kindliches Opfer allein aus Gründen einer leichteren Tatausführung auswählt, so wird ihm die Wehrhaftigkeit seines ausgewählten Opfers einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen.

E. Was tun bei Verdacht auf sexuellem Missbrauch?

Aus vielerlei Gründen könnte bei Ihnen der Verdacht aufkommen, dass Ihr Kind sexuell missbraucht worden sein könnte. Ursächlich könnten bestimmte Verhaltensänderungen beim Kind sein, merkwürdige Verletzungen, die Ihr Kind nur unzureichend erklären kann oder Aussagen Dritter, die beunruhigend klingen. Wie können Sie die Wahrheit herausfinden? Das geht in erster Linie im Wege eines geeigneten Gesprächs mit Ihrem Kind. Hier liegt aber ein Problem: Das Gespräch sollte unbedingt von fachkundigen Experten geführt werden. Gespräche durch Laien beinhalten die Gefahr, dass die Aussagen Ihres Kindes fehlinterpretiert werden oder dass aus Unkenntnis eine suggestive Fragetechnik angewandt wird oder die Protokollierung lückenhaft ausgeführt wird. Wenn dies geschieht, ist nicht nur das Ergebnis der Aussage unbrauchbar mit der Folge, dass ein Unschuldiger einer Straftat bezichtigt wird. Vielmehr können die Erlebnisse des Kindes idR. nicht mehr ohne weiteres in einen Prozess gegen den Täter einfließen. Suggestive Fragetechniken sind geeignet, Kindern etwas einzureden, so dass die so befragten hinterher selber nicht mehr unterscheiden können zwischen tatsächlich Erlebtem und suggestiv Erfragtem. Liegt in so einem Fall tatsächlich ein Missbrauch vor, so kommt der Täter wahrscheinlich davon.

Wenn Sie einen Verdacht haben, sollten Sie den Weg gehen, den unsere Rechtsordnung vorsieht: Sie erstatten Anzeige gegen Unbekannt bei der Polizei. Darin beschreiben Sie den Sachverhalt genau, also diejenigen Anhaltspunkte, die Ihnen das Gefühl geben, dass Ihr Kind Opfer eines Übergriffs geworden ist. In der Anzeige gegen Unbekannt sollen auch die Personen namentlich genannt werden, gegen die sich Ihr Verdacht richtet. Damit bekommt die Polizei wichtige Ansätze, um eine erfolgreiche Ermittlung durchführen zu können. Sie können mit der Polizei das weitere Vorgehen besprechen und sich nach Sachverständigen erkundigen, die Ihr Kind fachkundig befragen sollen.

Eine Anzeige hat auch einen weiteren Vorteil: Hat der Täter mehrere Eisen im Feuer, so treffen im Idealfall mehrere Anzeigen bei der Polizei ein. Beschreiben mehrere Anzeigen bezüglich verschiedener Sachverhalte den gleichen Verdacht gegen denselben Täter, so erhöht sich aus Sicht der Ermittlungsbehörden die Wahrscheinlichkeit für eine oder mehrere Straftaten und damit steigt idR. auch die Ermittlungstätigkeit der Polizei. Sie können die Polizei auch fragen, ob es ähnlich gelagerte Verdachtsfälle in der Umgebung gibt und darum bitten, einen Kontakt zu den übrigen betroffenen Eltern herzustellen. Die Namen und Adressen können Sie aus Datenschutzgründen aber nicht erhalten. Der Kontakt geht nur vermittelt durch die Polizei und nur, soweit die übrigen betroffenen Eltern dies ebenfalls wünschen.

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